http://bazonline.ch/kultur/kino/Die-Nac ... y/20931756Basler Zeitung vom 19.11.2009
Die Nacht, als der Teufel mit der Spitzhacke kam
Von Simone Matthieu.
Gestern beschäftigte sich eine ZDF-Doku mit den Fakten hinter dem unheimlichsten Mordfall der deutschen Geschichte und präsentierte neue Erkenntnisse.
Der Sechsfachmord von Hinterkaifeck. Das Verbrechen geschah in der Nacht vom 31. März 1922. Damals nur mangelhaft untersucht, versuchen seit nunmehr 87 Jahren immer neue Ermittler, Hobby-Detektive, Buch-Autoren und Journalisten dem Geheimnis um die brutale Tat auf die Spur zu kommen.
Der Fall ist bis heute nicht abgeschlossen. Am Vortag des Kinostarts von «Tannöd» der Film basiert auf diesem historischen Verbrechen versuchte die ZDF-Dokumentation «Der Fall Hinterkaifeck» Licht ins Dunkel zu bringen.
Die TV-Reporter begleiten eine Abschlussklasse der Polizeihochschule Fürstenfeldbruck, die sich dem Fall nochmals annimmt. Neben den offiziellen Ermittlern gibt es auch eine selbsternannte «Soko Hinterkaifeck», die sich im Internet formiert hat: Zahnärzte, Studenten, Juristen, Rentner und Ingenieure diskutieren im Netz jedes Detail und jede neue Wendung, die es im Fall gibt.
Das Ausgangsmaterial für die heutigen Detektive ist dürftig. Michaela Forderberg-Zankl, die die Studie an der Polizeihochschule leitet, sagt, es sei nicht nachzuvollziehen, warum 1922 keine Fingerabdrücke genommen und lediglich fünf Tatort-Fotos gemacht wurden. Die damaligen Ermittler verliessen den Tatort nach kürzester Zeit wieder.
Die bekannten Fakten
Was man weiss: Die Witwe Viktoria Gabriel wohnt mit ihrer Tochter Cilli der Vater Karl Gabriel ist im Krieg gefallen und ihrem unehelichen Sohn Josef auf dem Hof ihrer Eltern Cäzilia und Andreas Gruber. Die drei Generationen leben zurückgezogen auf dem Einödhof im bayrischen Hinterland.
Viktoria schweigt über die Identität von Josefs Erzeuger. Ein Nachbar, der Ortsvorsteher Schlittenbauer, stellt sich als Vater. Kurze Zeit später leugnet er die Vaterschaft und zeigt Viktoria und deren Vater Andreas Gruber wegen Blutschande an. Schlittenbauer behauptet, Josef sei durch Inzest gezeugt worden. Viktoria schlägt zurück und beantragt ihrerseits Unterhaltszahlungen für Josef durch Schlittenbauer. Heiraten will sie den angeblichen Kindsvater aber nicht. Ein böser Streit entbrennt.
Die Tatnacht
Am 31. März 1922 kommt eine neue Magd auf den Einödhof. Ihre Vorgängerinnen hielten es alle nur kurze Zeit dort aus. Hofbesitzer Andreas Gruber hat den Ruf eines rüden Mannes, der auch mal handgreiflich wird. Er ist deswegen bei der Polizei aktenkundig. Die Magd wird von ihrer Schwester begleitet. Diese verlässt den Einödhof wieder gegen 17 Uhr. Danach, so heisst es im Dorf, kam der Teufel nach Hinterkaifeck.
Einen Tag nach der Tat kommen zwei Kaffee-Vertreter auf den Hof. Sie gehen wieder, da sich nichts rührt. Drei Tage nach der Tat kommt der Postbote. Auch er trifft keinen an, bemerkt aber, dass das Vieh im Stall unruhig ist. Da die Tiere nicht schreien, denkt er sich nichts weiter und geht wieder. Am vierten Tag nach der Tat kommt ein Monteur auf den Einödhof. Er soll eine Maschine reparieren. Da niemand antwortet, bricht er den Maschinenraum auf und arbeitet während vier Stunden. Als er gehen will, steht plötzlich die Stalltüre offen und der Hund der Familie sitzt angebunden vor der Haustür. Der Monteur alarmiert die Dorfgemeinschaft.
Vier Tage nach dem letzten Lebenszeichen durchsuchen Nachbar Schlittenbauer und andere aus dem Dorf den Einödhof. Unter einer losen Türe im Stall versteckt, findet er die aufeinander gestapelten Leichen von Viktoria, ihrer Tochter Cilli und den Grosseltern. Im Haus liegen die Leichen der neuen Magd und des zweijährigen Josef. Allen wurde der Kopf eingeschlagen.
Da Viktorias Zimmer durchsucht wurde und ein Teil ihres Bargeldes weg ist, bleiben die damaligen Polizisten bei ihrer ursprünglichen These von einem Raubmord. Der Täter wird nie gefunden.
Jahre nach der Bluttat wird der unheimliche Einödhof abgerissen. Im Boden versteckt findet man die bislang vergeblich gesuchte Tatwaffe: Es ist die Spitzhacke von Grossvater Andreas Gruber.
Aus heutiger Sicht wird der Fall ganz anders beurteilt
Ganz anders sehen die modernen Ermittler den Sechsfachmord: Da ein grosser Teil von Viktorias Bargeld liegen gelassen wurde, kommt ein Raubmord nicht infrage. Der Fakt, dass alle Leichen zugedeckt waren, ist für die Kriminalpsychologen zudem ein Zeichen von emotionaler Wiedergutmachung. Das heisst, es gab eine Beziehung zwischen Mörder und Opfer. Der Schlüssel zum Verbrechen scheint der kleine Josef zu sein warum sonst sollte jemand neben den Erwachsenen auch das Kleinkind brutal ermorden.
Dass das Vieh drei Tage nach der Tat zwar unruhig war, aber nicht schrie, ist ein klares Indiz dafür, dass der Mörder sich noch einige Zeit auf dem Hof aufgehalten hat. Er hat die Tiere versorgt, damit niemand Verdacht schöpft. Für die Ermittler ist klar: Nur einer, der den Opfern nahe steht, muss eine solche Inszenierung veranstalten, um den Verdacht von sich zu lenken.
Auch das aufwändig versteckte Mordwerkzeug beweist, dass der Täter noch einige Zeit auf dem Hof geblieben ist. Ein Raubmörder würde möglichst schnell verschwinden und keine Zeit damit verschwenden, Dielenbretter aufzubrechen und wieder zu zu nageln, um die Hacke darunter verschwinden zu lassen.
Sie Internet-Soko kommt zu erstaunlichen Ergebnissen
Dass es sich um eine Beziehungstat handelt, denkt auch die Internet-Soko Hinterkaifeck. Sie hat die alten Tatort-Fotos mit neuer Software beleuchtet und entdeckt auf dem Foto aus dem Stall eine dritte Leiche. Bisher konnte man auf dem Bild nur zwei Körper identifizieren. Bei der neu entdeckten Leiche handelt es sich um Viktoria. Da sie zuunterst auf dem «Leichen-Stapel» liegt, geht die Soko davon aus, dass sie als erste erschlagen und die Tat hauptsächlich wegen ihr verübt wurde.
Mit den heutigen Erkenntnissen rekonstruieren die ZDF-Dokfilmer den plausibelsten aller Tat-Hergänge und lassen ihn nachstellen: Die drei Frauen sind noch wach, als es passiert. Sie werden alle angezogen aufgefunden. Viktoria wurde als erste getötet. Im Stall lauert ihr der Täter auf. Er muss gewusst haben, wie er hineinkommt oder wurde sogar von Viktoria reingelassen, weil sie ihn kennt. Die Grossmutter hört Viktoria im Stall schreien und schaut nach. Sie ist das zweite Opfer. Viktorias Tochter Cilli schickt, weil die beiden Frauen nicht zurück kommen, den Grossvater, der bereits im Bett war, zum Nachsehen. Als auch er nicht wiederkommt, geht Cilli selber in den Stall und läuft dem Täter in die Arme. Dieser schleicht sich, nachdem er im Stall vier Menschen umgebracht hat, ins Wohnhaus. Dort tötet er die Magd in ihrer Kammer und den kleinen Josef, der in seinem Kinderwagen schläft.
Vor diesem Hintergrund lässt eine Aussage, die der Nachbar Schlittenbauer damals gemacht hatte, die modernen Ermittler aufhorchen: «Diese Leute waren nicht gut. Der Herrgott hatte seine Hand schon am rechten Fleck», gibt er zu Protokoll. Eine ungeheuerliche Sichtweise.
Keine Beschuldigungen ohne Beweise
Trotz all der neuen Ergebnisse und einem rekonstruierten Tathergang, der endlich Sinn macht, möchte die Studiengruppe der Polizeihochschule keinen Verdächtigen nennen. «Wir haben einen Namen, uns fehlt aber der endgültige Beweis. Darum wollen wir keine Beschuldigungen aussprechen», sagt Leiterin Michaela Forderberg-Zankl.
Der endgültige Beweis, so hofft die Internet-Soko, könnte durch die neuerliche Aufmerksamkeit, die der Fall dank Buch und Film «Tannöd» auf sich zieht, gefunden werden. Dass in einer verstaubten Truhe auf einem alten Estrich ein alles entscheidener Hinweis liegen könnte, der den Mörder endlich überführt diese Hoffnung treibt die Internet-Soko und alle andern, die sich in den letzten Jahren des Falles angenommen haben, weiter an.
(bazonline.ch/Newsnetz)
Eingestellt auf Hinterkaifeck-Mord.Foren-City von @AngRa